KlarinettenKunst

Innovationen

2. Der Kantrix

Beginn der Entwicklung: Das Mundstück

Meine ersten Versuche zur Herstellung von Kantrohrmundstücken datieren vom März 2018. Wie an den Abbildungen wohl ersichtlich, sind derartige Mundstücke in ihrer Grundform sehr einfach herzustellen:

Das sind drei erste Arbeitsschritte. Nun fehlt nur noch, abgesehen von der Ligatur - das ist die Blattbefestigung -, etwas sehr Wesentliches, nämlich ein Anschliff der Seite mit dem Ausschnitt, die dadurch eine Krümmung erhält, sodaß das Blatt frei schwingen kann.

Anfangs traute ich mich nicht, hierfür das Mundstück direkt anzuschleifen und möglicherweise zu verderben. Also behalf ich mich mit auswechselbaren Bahnplatten (siehe eine davon mittig im Foto), an deren Herstellung ich mich üben konnte, ohne große Verluste an Zeit und Material zu erleiden. Die 2mm starke Bahnplatte wird zwischen Blatt und Mundstück gelegt.

Irgendwann hatte ich mir die Kunst angeeignet, Mundstücke direkt zu schleifen. Dafür eignet sich gut ein kleiner Bandschleifer.

Die Herstellung von Rundrohrmundstücken ist übrigens deutlich schwieriger,

und klanglich bringen sie - genauer gesagt: bringen die so hergestellten Rundrohrklarinetten - keine Vorteile, sodaß ich von ihrer Herstellung bald wieder abgekommen bin.

Ein Bedenken hat mich in der Anfangszeit begleitet: Erlauben diese ungewöhnlich schlanken Mundstücke dem Spieler, den nötigen Lippendruck zu erzeugen, um auch die hohen Töne spielen zu können? Vor Allem die Kantrohrmundstücke sind ja wohl gewöhnungsbedürftig. Sollten sie also lippenseitig verbreitert werden? Doch die Erfahrung hat mir schnell gezeigt, daß es insofern keine Einschränkungen gibt.

Eine weitere Überlegung betraf die Innengestaltung, die sogenannte Kammer. Wenn der Durchgang verengt wird, so werden die höheren Teiltöne relativ zum Grundton verstärkt und der resultierende Ton klingt schärfer. Um diesbezüglich Erfahrungen zu sammeln, habe ich einige Mundstücke aus massiven Blöcken hergestellt und regelrechte Kammern gemäß handelsüblichen Modellen ausgefräst. Der resultierende Klang hat mir aber keineswegs besser gefallen, sodaß ich auch hiervon wieder abgekommen bin.

Alle diese meine Tätigkeiten hatten und haben ihren Ursprung in meditativem Denken und in Experimentierlust. Daraus folgte auch die rein hypothetische Überlegung, daß das schwingende Blatt idealerweise genauso breit (aber natürlich nicht breiter) sein sollte wie das Kantrohr. Unter Zugrundelegung der handelsüblichen Blätter für die Normalklarinette hat das Kantrohr dann die Außenmaße 13x13 mm, was bei einer Wandstärke von 1 mm den Innenmaßen 11x11 mm entspricht. Dies wiederum entspricht einer Rundrohklarinette mit einem Innen-Ø von nur etwa 12½ Millimeter; normal sind 15. Kann das gutgehen? Ja, die Erfahrung hat mir - durchaus zu meiner Überraschung - gezeigt, daß eine dermaßen schlanke Kantrohrklarinette nicht schärfer, jedenfalls nicht schlechter klingt als eine mit 16x16mm Außenmaße, welche ihrerseits einer Rundrohrklarinette mit einem Innen-Ø von 15½ Millimetern entsprecht. Links vom Text ist diese Schlanke (die mit den goldgrünen Deckeln) )abgebildet. Auch eine 18x18mm-Klarinette habe ich gebaut, diese aber mit einem Mundstück für Baßklarinette versehen. Sie klingt voluminöser, etwas saxophonartig.

Damit sind meine Versuche zu den Maßen sicher nicht abgeschlossen. Jedoch haben die bisherigen Ergebnisse mich darin bestärkt, den einmal eingeschlagenen Weg so schnell nicht wieder zu verlassen, vielmehr die Entwicklung der Kantrohrklarinette weiter voranzutreiben.

Zwischenfrage: Was bestimmt den Klang der Klarinette?

In einem fachspezifischen Forum kamen die Diskutanten zum Ergebnis, daß hauptsächlich Spieler, Blatt und Mundstück den Klang bestimmen, in dieser Rangfolge. Ich stimme dem zu und sage noch etwas zum physikalischen Aspekt: Entscheidend für den Klang ist die Auslenkung des Blattes. Ist sie gering, so ist der Klang grundtönig, also dunkel und voll. Ist sie stark, so wird der Klang obertonreich, also hell und scharf. Die Auslenkung wiederum hängt ab vom Blasdruck des Spielers in Relation zur Blattstärke und zur Bahnöffnung des Mundstücks. Es ist also falsch zu sagen, daß ein bestimmtes Blatt oder ein bestimmtes Mundstück einen bestimmten Klang erzeuge. Wenn in einer Versuchsreihe ein dünnes Blatt einen schärferen Ton erzeugt, so wird das zunächst einmal daran liegen, daß der Spieler seinen Anblasdruck nicht sofort darauf einstellt, vielmehr ähnlich stark anbläst wie mit einem starken Blatt, um die gleiche Lautstärke zu erzeugen. Für das Mundstück gilt Entsprechendes.

Daß Blatt und Mundstück auch noch nach weiteren Parametern zu beurteilen sind, streite ich nicht ab. Überhaupt ist die Herstellung von Blättern und Mundstücken eine Kunst für sich. Jedoch wird die Bedeutung der Eigenschaften seitens der kommerziellen Anbieter wie auch derer, welche für den Kauf dieser Teile ihr Geld los werden, meines Erachtens stark überschätzt. Ich selbst stelle keine Blätter her, sondern beschränke mich auf die Herstellung der meinen Instrumenten zugehörigen Mundstücke. Um diese zu prüfen und zu vergleichen, benutze ich ein Kunststoffblatt von stets gleicher Stärke als Referenz.

Das Kantrohr und seine Fenster

Nachfolgendes Bild zeigt ein Kantrohrkorpus in Herstellung. Das Fräsen der Fenster ist nicht zeitaufwändiger als das Bohren entsprechend großer Tonlöcher in einem Rundrohrkorpus.

Wahrscheinlich fällt Ihnen sofort auf, daß die Fenster teilweise grenzwertig eng beieinander liegen, die schließenden Deckel also sehr genau bemessen sein müssen, um einander nicht zu berühren. Ich habe nämlich - zugunsten eines lauten und brillianten Tones - die größte Öffnungsweite verwirklicht, die technisch möglich ist. Mit Rundlöchern ließe sich dieses Ergebnis nicht erzielen.

Weiterhin wird Ihnen aufgefallen sein, daß der Korpus auch auf der Unterseite - nicht seitlich - mit Fenstern versehen ist. Bei Normalklarinetten werden untenliegende Tonlöcher vermieden, mit Ausnahme des Daumenlochs, in das ein Rohr eingefügt wird, um das Kondenswasser, welches im Korpus entsteht, vorbeizuleiten.

Im Kantrix sind derartige Maßnahmen unnötig, weil die Fenster viel zu groß sind, als daß sie durch Wassertropfen verstopft werden könnten. Davon abgesehen scheint gar nicht erst viel Kondenswasser zu entstehen; jedenfalls habe ich beim Spiel noch keine nassen Finger bekommen. Das dürfte wiederum den großen Fenstern zu verdanken sein, welche für gute Durchlüftung sorgen.

Nun liegen aber außer für den Daumendeckel noch weitere Fenster an der Unterseite. Der Grund ist, daß auf diese Weise die Fenster akustisch noch enger zusammenrücken können, als wenn sie alle auf einer einzigen Seite platziert würden. Außerdem machen Hilfs- und Trillerfunktionen zusätzliche Fenster nötig.

Anfangs, d.h. etwa drei Jahre vor Entwicklung des Kantrix, habe ich eine andere Bauweise favorisiert. Das Kantrohr weist hierbei seitliche Fenster auf, und zwar immer paarweise, jeweils genau gegenüberliegend. Sie waren vorgesehen zur Anbringung von Schiebern, die durch senkrechten Druck entweder schlossen oder öffneten, je nach Position ihrer Fenster. Die Rückführung erfolgte durch Magneten anstatt durch Federn. Jedoch ist es mir damals nicht gelungen, auch nur halbwegs abdichtende Schieber herzustellen. Ob es überhaupt möglich ist, erscheint mir, nach Konsultation von Fachleuten, zweifelhaft. Man könnte es mit Materialien wie Teflon oder Graphit probieren.

Sodann habe ich es versucht mit Klappen; allerdings nicht mit den üblichen Klappen - diese erschienen mir unattraktiv - sondern mit "Doppelflügelklappen". Ich wollte auf jeden Fall etwas Besonderes, Ungewöhnliches machen. Auch in diesem Fall diente mir das Kantrohr mit Zwillingsfenstern als Grundlage. Die Abdichtung gelang mir auf diese Weise schon etwas besser, aber letztlich auch nicht befriedigend.

Insgesamt waren diese Versuche sehr aufreibend und frustrierend, sodaß ich sie nach einigen Monaten aufgegeben und mich für einige Zeit erfolgreich dem Bau von - metallischen - Rundrohrklarinetten gewidmet habe. Mittlerweile, nachdem die Idee der parallelgeführten Ventildeckel mich wieder zur Arbeit mit Kantrohren zurückgeführt und mir einen sofortigen Erfolg mit der Entwicklung des Kantrix eingebracht hat, sehe ich meine handwerklichen Fähigkeiten allerdings verbessert. Sollte ich die Arbeit an der "Doppelflügelklappen-Klarinette" noch einmal aufnehmen? Halbfertiges sollte man ja nicht liegenlassen.

Die Mechanik des Kantrix

Wie in der Einleitung erwähnt, gibt es zum Öffnen und Schließen außer Klappen auch noch Schieber und Ventile. Der Kantrix funktioniert mit der dritten Version, nämlich dem Ventilschluß. Das untere Bild zeigt den Kantrix Nr.10, rechte Seite, mit den aneinandergereihten Führungsgetrieben, welche die Parallelführung der Ventildeckel ermöglichen. Auf der linken Seite des Kantrix sieht es, was die Komplexität betrifft, nicht viel anders aus.

Insgesamt also ist diese Mechanik, verglichen mit der einer Traditionsklarinette, einerseits geradlinig und redundant, im Einzelnen aber doch recht kompliziert. Macht das den Kantrix störanfällig? Und: Schließen die Ventildeckel wirklich dicht? Ist der Kantrix, dem Anspruch seines Entwicklers gemäß, wirklich leichter spielbar? Klingt das Instrument auch gut? Diese und andere Fragen werden sich dem unbelasteten Betrachter (und vielleicht Interessenten) vermutlich stellen.

Die Frage der Störanfälligkeit läßt sich vorweg kaum beantworten. Der Zusammenbau des Kantrix ist ziemlich zeitaufwändig und erfordert einiges Geschick. Besonders verschleißanfällige Teile erkenne ich jedoch nicht; es muß auch nichts geölt werden, denn alle Teile (mit Ausnahme der Wellen-Sicherungsscheiben) bestehen aus Messing. Möglich sind allenfalls Lockerungen einzelner Befestigungsschrauben.

Hinsichtlich der Ventildeckel kann ich sagen, daß sie an den Getrieben mit einfachen Koppelschwingen bereits ohne Voreinstellung einwandfrei schließen. An Führungsgetrieben jedoch, die mit Koppelstangen untereinander verbunden sind, muß ich die Deckel nach dem Einbau eventuell justieren, d.h. etwas auf- oder abbiegen. Das geht durch (starke) Fingerkraft. Ferner muß ich an Drehstangen die Feststeller einstellen.

Dagegen wirken die Moosgummiplatten unter den Ventildeckeln - gewissermaßen die Äquivalente zu den Polstern der bisher üblichen Löffelklappen - bedingt selbstregulierend, d.h. sie passen sich sehr bald den Fenstern an und lassen bei geöffnetem Deckel die Fensterform erkennen, die sich ihnen eingeprägt hat. Ob Feuchtigkeit dem Moosgummi schadet, ist eine offene Frage, die sich mir aber nicht wirklich stellt, da ich bisher keine Feuchtigkeitsspuren habe erkennen können.

Das Spiel auf dem Kantrix

Was die Erlernbarkeit betrifft, so schneidet der Kantrix m.E. auf alle Fälle besser ab als die Traditionsklarinette - was übrigens auch das entscheidende Motiv zu seiner Entwicklung gewesen ist. Ähnlich wie beim Saxophon lassen sich die Tasten kaum verfehlen; auch das Spiel mit gestreckten Fingern, ja selbst mit Handschuhen, ist möglich. Darüber hinaus sind wegen der durchgehend sehr großen Tonfenster die gegriffenen Töne akustisch weitgehend voneinander entkoppelt, das heißt, der Spieler kann tiefere Tasten gedrückt halten, was auf der Traditionsklarinette zu Ausfällen führen würde. Aus demselben Grund sind besonders die "kurzen" Töne des Chalumeau-Registers auch deutlich lauter.

Einschränkend muß ich sagen, daß gewisse Funktionen konstruktionsbedingt nicht zur Verfügung stehen. So funktioniert die Überblastaste nicht auch als Tontaste; das notierte b' muß also zwingend mit der dafür vorgesehenen Seitentaste gegriffen werden. Aus dem schon genannten Grunde - tiefere Tasten können geschlossen gehalten werden - erkenne ich darin aber keinen gravierenden Nachteil. Wer vorweg anderer Meinung ist, sollte es probieren! - Weiterhin war es, wiederum konstruktionsbedingt, nicht möglich, eine Trillertaste mit Tonfenster auf gleicher Höhe wie die Daumentaste einzurichten. Das kann durchaus als ein Nachteil bewertet werden. - Dafür gibt es eine Zusatztaste für den rechten Zeigefinger, welche als Redundanztaste für wahlweise eine der Funktionen des linken Kleinfingers eingestellt werden kann.

Eine Besonderheit, die auf der Traditionsklarinette nicht leicht zu verwirklichen wäre, ist die Gestaltung der a'-Taste. Der linke Zeigefinger, der sie betätigt, wird dabei nicht gedreht; vielmehr wird die Taste aus dem Handgelenk nach oben gedrückt. Diese Bewegung ist leichter zu vollziehen als die Finger-Drehbewegung. Das folgende Foto zeigt die zugehörige Mechanik von drei Seiten.

Was schließlich den Klang betrifft, so ist mir persönlich kein Unterschied zum Klang der Traditionsklarinette aufgefallen - abgesehen von einer größeren Lautstärke besonders im oberen Chalumeau-Bereich. Hierzu ein Urteil zu bilden, bleibe Testspielern überlassen. Nötig zu einer wirklichen Klärung dieser Frage ist die Herstellung einer ausreichenden Zahl von Mundstücken, eine (Hand-)Arbeit, welche mich fürderhin beschäftigen wird. Zur ersten Orientierung zwei kurze Hörproben; eine mit meinem Spiel, die zweite gespielt von meinen zeitweiligen Klarinettelehrer, Herrn István Szebegyinszki.

Kantrix-Hörprobe 1

Kantrix-Hörprobe 2

Kantrix-Hörprobe: Wild Cat Blues

Inzwischen sind zum B-Kantrix drei Youtube-Videos aufrufbar:

(Wird fortgesetzt.)


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